Der Juchtenkäfer (Osmoderma eremita), auch Eremit genannt, ist ein Phänomen: Obwohl in bisher nur wenige Menschen überhaupt in freier Natur, geschweige denn lebend, gesehen haben, gehört er zu den "Stars" im Insektenreich und ist vielen ein Begriff. Zu dieser Berühmtheit hat ihm insbesondere das Tiefbahnhofprojekt Stuttgart 21 verholfen. Durch die ersten Bauausführungen im mittleren Schlossgarten mussten auch alte Platanen weichen, in denen sich Vorkommen der europaweit (FFH-Richtlinie Anhang II, prioritär) und national besonders und streng geschützten Käferart befanden. Schnell ging der Juchtenkäfer durch die Presse und wurde von den Bahnhofsgegnern schon als "Verhinderer" des Projektes gefeiert.
Doch das Maskottchen der Gegner hat es aus ganz anderen Gründen nicht leicht: Seine "Probleme" liegen im Umgang mit seinen ursprünglichen Lebensräumen - Wälder mit einem hohen Anteil von sehr sehr alten Bäumen. Der Juchtenkäfer ist eine Urwaldart, er ist ganz besonders auf Altbäume mit Höhlungen voll mit Mulm (Lockersediment aus absterbendem Holz) angewiesen. In diesem Substrat, das weder zu feucht noch zu trocken sein darf, spielt sich praktisch sein ganzes Leben ab. Die Eier werden in den Mulm gelegt. Daraus entwickeln sich Larven, die sich über mehrere Jahre und drei Stadien hin zum Imago entwickeln. Der Käfer lebt nur wenige Wochen im Sommer und nimmt keine Nahrung auf. Nur wenige der geschlüpften Käfer kommen überhaupt aus den Höhlungen ans Tageslicht. Das ganze Leben spielt sich somit im bzw. am Baum ab (deshalb auch der Name "Eremit". Der Name Juchtenkäfer kommt von den leicht nach Juchtenleder duftenden Käfern.). Der Juchtenkäfer kann zwar fliegen, sein Aktionsradius ist aber sehr gering und in der Regel nur wenige hundert Meter groß.
Um das Problem des Juchtenkäfers zu verstehen muss man einen Blick auf die Historie der Waldnutzung in Mitteleuropa werfen: Früher gab es entsprechend alte Bäume noch häufiger im Wald, z.B. in so genannten Hutewäldern. Doch die Waldnutzung hat sich in den letzten 200 Jahren massiv gewandelt. Die heutigen Wirtschaftswälder haben vor allem gleichaltrige Bestände mit nur noch wenige Altbäume die für den Juchtenkäfer geeignet sind. So finden sich heute Juchtenkäfervorkommen in unseren Breiten vor allem in besiedelten Bereichen oder auch in der freien Feldflur. Vorkommen sind besonders aus Parkanlagen, Alleen, Kopfweidenbeständen usw. bekannt.
Problematisch wird es für den Käfer, wenn sein besiedelter Baum aus natürlichen Gründen oder durch einen Eingriff nicht mehr als Lebensstätte genutzt werden kann. Dann benötigt er in unmittelbare Nähe einen oder mehrere geeignete (es müssen Höhlungen mit ausreichend Mulm vorhanden sein) alte Bäume. Sind diese nicht vorhanden erlischt die Population. Deshalb wird der einzelne vom Juchtenkäfer besiedelte Baum auch als lokale Population angesehen. Dies stellt natürlich Vorhabensträger und Planer vor gewisse Herausforderungen, wenn Altbäume mit einer Juchtenkäferpopulation einem Projekt "im Weg" sind. Aber die Herausforderungen zum Erhalt der Art sind noch ganz andere: Langfristig müssen unsere heimischen Wälder so bewirtschaftet werden, dass einzelne Bäume oder noch besser Baumgruppen sehr alt werden können. Nur so hat die Art auf lange Sicht eine Chance. Ein zweites Problem stellt sich dann aber trotzdem: Wie kommt der Käfer mit seinem geringen Aktionsradius durch unsere intensiv genutzte und dicht besiedelte Landschaft zurück in den Wald???
weiblicher Juchtenkäfer (Osmoderma eremita) auf einer Platane (Platanus sp.)
sehr alte Bäume mit Höhlungen und viel Mulm - darauf ist der Juchtenkäfer angewiesen
männlicher Juchtenkäfer
bei den Männchen ist die Mittelrinne auf dem Brustschild besonders tief und ausgeprägt